Fächerübergreifendes Arbeiten
- eine Modellbahn AG am Mädchen-Gymnasium
(von AG Projektleiter Erich Fock)
1. Einleitung
Wir haben an unserer Schule seit fast 8 Jahren eine Modellbahn AG, die an einer Modellbahn-Modulanlage baut. Einmal in der Woche treffen sich 10 – 15 Mädchen der Jahrgangsstufen 5 – 13 und lassen teils originalgetreue Landschaftsausschnitte aus unserer Heimat entstehen, bemalen Figuren und sorgen für Bewegung und Beleuchtung auf der Anlage. Die AG erfreut sich von Anfang an großer Beliebtheit und bei Ausstellungen sind schon fertige Teile der Anlage präsentiert und prämiert worden. Im Unterricht stellt die Anlage eine wertvolle Bereicherung dar. Die Ideen gehen uns nicht aus und nur finanziell sind uns Grenzen auferlegt, da wir uns nur aus Spenden und Idealismus finanzieren. Auch unsere Schulleiterin ist stolz auf uns, da wir die einzige bayerische Mädchenschule mit einer Modellbahn AG sind.
Im Dezember 2007 haben wir unsere Anlage zum ersten Mal als Schule auf der internationalen Modellbahnmesse in München ausgestellt, die Einladung dorthin stellt für uns eine ganz besondere Ehre dar. Ich selbst bin seit 14 Jahren am Gymnasium tätig und unterrichte Mathematik, Physik, Geographie und Informatik. Da die Anlage aus 40 einzelnen Modulen aufgebaut ist, lässt sie sich auch transportieren und immer wieder anders aufbauen (ein Standardmodul hat die Maße 1,00m x 0,60m). Für Berlin käme ein Teilaufbau mit den Bahnhöfen Günzburg und Neu-Ulm als lange Gerade (18m x 1m ) oder als Hufeisen (8m x 5m) in Frage.
2. Warum Modelleisenbahn in der Schule – speziell an einer
Mädchenschule?
Die folgenden Punkte sollen als kleine Anregung dienen:
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Modellbahn - eine Abwechslung im Schulalltag
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Modellbahn - Herausforderung auch für Mädchen
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Modellbahn - Anleitung zu sinnvoller Freizeitbeschäftigung
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Modellbahn - Simulation der Realität
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Modellbahn - Förderung von handwerklichen Fähigkeiten
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Modellbahn - pädagogisches Lernmittel
3. Das Konzept
Angefangen haben auch wir ganz klein: ein kleiner Kreis, zwei Züge und das Ziel ein Stück unserer Heimat darzustellen. Eine Wettbewerbsausschreibung von „Modellbahn und Schule“ hat uns in unserem Vorhaben unterstützt. Wichtig war uns von Anfang an, dass wir ein breites Spektrum an Möglichkeiten umsetzen können. Die Phase des „Belächeltwerdens“ eines zum Scheitern verurteilten Projekts – vor allem von Männern – dauerte nur bis zur ersten Ausstellung vier Monate nach Gründung der Arbeitsgemeinschaft. Das Besondere daran ist, dass eine solche Anlage nie fertig wird und so Bauen, Spielen und Lernen ständig ineinander greift. Da ich Lehrer für Mathematik, Physik, Geographie und Informatik bin, lässt sich die Anlage gut in meinem Unterricht einsetzen. Während am Anfang die Unterrichtskonzepte oft auf das stehende Modell beschränkt war (z.B. Maßstab, Stromkreis, Dampfmaschine) können mit dem Ausbau auch komplexe Projekte, wie Erstellen von Fahrplänen, Bau von Gleisstellpulten und Beschleunigungsmessungen durchgeführt werden.
4. Didaktische und pädagogische Ziele
Das Projekt einer Modellbahnanlage bietet gute Ansätze zu den wichtigsten von der PISA-Studie aufgedeckten Defiziten wie z.B. „mangelnde Lesebereitschaft“, „Konzentrations-schwächen“ und „fehlendes Umwelt-Wahrnehmungsvermögen“ Schon der Bau eines kleinen Gebäudes trainiert die Konzentrationsfähigkeit bei gleichzeitiger Übung der Feinmotorik und macht die Schüler spielerisch mit ihrer Alltagswelt vertraut. Das Entwerfen eines Bauplans beim Übertragen aus dem Original entwickelt und festigt das strukturelle Vorstellungsvermögen. Die Logik der einzelnen Baustufen und in der Natur beobachtete Details finden im fertigen Modell ihre Realisierung und schließen die Lücke der Wahrnehmungsdefizite der Schüler.
Der gemeinsame Bau einer Schul-Modellbahn-Anlage wird der Forderung nach fächerverbindendem Unterricht gerecht und verbessert das soziale Gruppenverhalten unserer Mädchen.
In Physik werden z.B. spielerisch Grundkenntnisse über den Stromkreis, Magnetwirkung des Stromes, Umpolen, Relais, Lichtschranken, Kontaktgleise, geradlinige Bewegung, Beschleunigung, Kreisbewegung und Geschwindigkeitsmessung erlernt.
Die Bedeutung und der Alltagsbezug der Chemiewird durch den Umgang mit Klebstoffen, Farben und Modelliermassen klar.
Auch die nicht so geliebte Mathematikmacht wieder Sinn: beim Umrechnen von Längen, Flächen und Volumina in die jeweilige Maßstabsrelation oder bei aufwändigen, trigonometrischen Berechnungen und Konstruktionen der Gleisgeometrie.
In Biologie und Geographie werden durch Naturbeobachtungen das Umwelt-Wahrnehmungsvermögen trainiert um z.B. den Aufbau eines Gebirges, Waldes oder auch nur eines Wegesrandes vorbildgerecht wiederzugeben. Auch Begriffe wie Stadt, Land und Infrastruktur werden ganz nebenbei erläutert.
Die Informatik wird zum Grundlagenfach, um die moderne Digitaltechnik der Modellbahn auch zu verstehen. Der Computer dient nicht nur als Präsentationsmedium, sondern auch zum Erstellen und Verstehen von Gleisschaltbildern, Fahrplänen und schließlich einmal zur Steuerung der Anlage.
Die Bedeutung der Eisenbahn während der industriellen Revolution wird im Geschichtsunterrichtklar. Für den Bau einer Schulmodellbahn-Anlage ist immer historisches Hintergrundwissen erforderlich. Die Eisenbahn hatte einen entscheidenden Einfluss auf die Veränderung der Lebensumstände und der Stadtentwicklung. Einige unserer Bauten auf der Anlage sind mittlerweile aus dem Stadtbild verschwunden.
In Kunst ist die Wiedergabe einer Vorbildsituation immer eine Herausforderung an die Kreativität. Der Umgang mit Werkzeugen und die Verarbeitung verschiedenster Materialien wird hier eingeübt (Bild 1 im Anhang), als Beispiel sei nur das fachgerechte Einschottern von Gleisen erwähnt.
Auch im Hinblick auf den Aspekt des sozialen Lernens ist die Modellbahn in der Schule ein gutes Beispiel für fächerverbindenden Unterricht.
So ganz nebenbei wird Teamarbeit und der konstruktive Umgang der Schüler unterschiedlichen Alters miteinander erlernt. Dazu kommen noch wichtige soziale Kompetenzen wie Erziehung zu Ausdauer und Geduld, Akzeptanz von Misserfolg und die Erziehung zu Eigenverantwortung und Selbständigkeit. Außerdem wird die Persönlichkeitsbildung durch Auftritte in der Öffentlichkeit gefördert.
5. Unterrichtsbeispiele
Im folgenden werden kurz einige durchgeführte Unterrichtssequenzen angerissen.
Jgst. 5
- Maßstäbliche Umrechnung von Bahnhofslängen, Baumhöhen und
Gebäudegrößen
- Generalisierung und Vereinfachung von Landschaften im Original
Jgst. 7/8 - Geschwindigkeitsmessungen
- Leistungsmessung von Lokomotiven mit und ohne Last
- Bremsverhalten von Lokomotiven
- Anfahrverhalten eines Güterzugs (Reibungseffekte)
- Anlegen eines neuen Dorfes
Jgst.11 - Bewegungsbeobachtungen mit Messung von Beschleunigungs- und
Bremsverhaltens von Lokomotiven
Jgst. 12 - Einführung in die Digitaltechnik
Jahrgangsübergreifend: - Themenwoche Eisenbahn
- Planung und Durchführung von Ausstellungen
- Messungen durch Besucher aufbauen
- Fragebögen zum Suchen von Details
- Internationale Züge mit Bezug zur Schule
(Irland-, Frankreichaustausch, Fremdsprache Spanisch
Maria Wards Weg von England nach Italien)
6. Kosten und Aufwand
Der Bau einer solchen Anlage erfordert viel Arbeitseinsatz durch den Lehrer, viel Fleiß durch die Schüler/innen und den nötigen Platz. Letzteres war auch bei uns ein Problem, da wir die ersten drei Jahre keinen Raum für die Modellbahn hatten und verschiedenste Nischen in Gängen und Klassenzimmern, Kellerräumen und Sprechzimmer nutzten. Dabei dienen fertige Anlagenteile bei Schulveranstaltungen oft als Blickfang und sind damit ein Aushängeschild für die Schule. Es ist absolut notwendig, dass die Schulleitung und der Elternbeirat hinter dem Projekt stehen.
Die Finanzierung geschieht bei uns durch den Elternbeirat und den Förderkreis der Schule. Das rollende Material kaufe ich meist selbst. Erst nach den ersten Erfolgen haben wir auch Spenden – teilweise recht großzügig – von der heimischen Wirtschaft bekommen.
7. Resümee
Nach mittlerweile 10 Jahren ist die Modellbahn AG an unserer Schule zu einer festen Einrichtung geworden, ähnlich wie die Theatergruppe oder die Schulband. Weder Schülerinnen noch Lehrer möchten sie missen. Durch zahlreiche öffentliche Auftritte – die Anlage ist transportabel, auch wenn man dazu einen LKW benötigt – ist auch die Motivation zum Weitermachen gegeben. Es muss der Fairness gesagt werden, dass es vor allem in der Anfangszeit viel Organisationsarbeit durch den Lehrer braucht, denn in der Unterstufe sind die Schülerinnen noch recht unselbständig. Sehr zu loben sind Schülerinnen, die schon in der Grundschule gelernt haben, selbständig zu arbeiten (z.B. bei der Montessori-Pädagogik). Sie können bereits zu Beginn Arbeiten eigenständig durchführen und sind so dem Lehrer eine große Hilfe. Mittlerweile haben unsere Module und Anlagensegmente eine Gesamtlänge von etwa 50m. Die Arbeit geht nie aus ...es bleibt spannend!
Günzburg, den 21.5.2008 Erich Fock, Projektleiter der Modellbahn AG am Maria-Ward-Gymnasium Günzburg